
Das Zwiebelprinzip ist keine starre 3-Schichten-Regel, sondern ein flexibles Baukastensystem für maximale Effizienz.
- Der Erfolg liegt nicht in der Anzahl der Schichten, sondern in der Kompatibilität und Multifunktionalität jedes einzelnen Teils.
- Die richtige Materialwahl und Reihenfolge entscheidet über Wärme oder gefährliche Auskühlung durch Feuchtigkeit.
Empfehlung: Denken Sie Ihre Garderobe als modulares System. Jedes Teil muss eine klare Funktion haben und mit den anderen kombinierbar sein, um mit minimalem Gepäck auf alles vorbereitet zu sein.
Jeder Radfahrer kennt das Dilemma: Man startet in der kühlen Morgenluft, schwitzt am ersten Anstieg, friert in der windigen Abfahrt und wird am Nachmittag von einem Regenschauer überrascht. Die typische Reaktion ist oft, zu viel oder das Falsche einzupacken. Man verlässt sich auf die altbekannte Weisheit des „Zwiebelprinzips“, ohne dessen Kern wirklich zu verstehen. Oft wird es als simple Anweisung missverstanden, einfach drei Lagen übereinander zu ziehen – eine Basisschicht, eine Isolationsschicht und eine Schutzschicht.
Doch dieser Ansatz ist zu starr und führt häufig zu voluminösem Gepäck und ineffizienter Temperaturregulierung. Man schleppt eine dicke Jacke für den Regen mit, einen Fleecepullover für die Kälte und ein Wechseltrikot gegen den Schweiß. Was aber, wenn die wahre Kunst nicht darin besteht, Schichten zu addieren, sondern ein intelligentes, modulares System zu schaffen? Ein System, bei dem jedes einzelne Kleidungsstück multifunktional und mit allen anderen kompatibel ist, um mit minimalem Gewicht und Packmaß maximale Anpassungsfähigkeit zu erreichen. Genau das ist der Ansatz des minimalistischen Bikepackers: nicht mehr mitnehmen, sondern smarter packen.
Dieser Artikel bricht mit der starren 3-Lagen-Doktrin. Er führt Sie in die Denkweise eines System-Architekten für Ihre Radgarderobe ein. Wir analysieren die Funktion jeder Schicht, decken die häufigsten Materialfehler auf und zeigen, wie multifunktionale Elemente wie Arm- und Beinlinge ein starres System in ein dynamisches und hocheffizientes Werkzeug verwandeln. Sie lernen, Ihre Kleidung nicht nur vor, sondern auch während der Fahrt proaktiv zu managen und so für jede erdenkliche Wetter- und Intensitätsänderung gerüstet zu sein.
Um die Prinzipien eines wirklich effektiven Bekleidungssystems zu meistern, ist es entscheidend, die Rolle und die Synergie der einzelnen Komponenten zu verstehen. Die folgende Gliederung führt Sie schrittweise von den Grundlagen zu den fortgeschrittenen Strategien des modularen Zwiebelprinzips.
Inhaltsverzeichnis: Die Kunst der Zwiebel: Ein modulares System für jede Bedingung
- Basis, Isolation, Schutz: Warum die Reihenfolge der Schichten über Funktion oder Versagen entscheidet
- Der Baumwoll-Pulli als mittlere Schicht: Die Todsünden des Zwiebelprinzips
- Die intelligente Zwiebel: Wie Sie mit multifunktionalen Teilen Gewicht und Platz sparen
- Wolle oder Fleece: Welches Material Sie bei Kälte wirklich warm und trocken hält
- Der schnelle Striptease am Berg: Wie Sie Ihre Kleidung während der Fahrt managen
- die geniale Lösung von Arm- und Beinlingen entdecken
- die Strategie des vorausschauenden Kleidens lernen
- funktionale Radbekleidung gezielt einsetzen
Basis, Isolation, Schutz: Warum die Reihenfolge der Schichten über Funktion oder Versagen entscheidet
Das Fundament jedes erfolgreichen Bekleidungssystems ist nicht die Anzahl der Schichten, sondern deren korrekte Anordnung und Funktion. Jede Lage erfüllt eine spezifische Aufgabe, und wenn eine versagt, bricht das gesamte System zusammen. Man kann es sich wie eine Produktionskette für Körperklima vorstellen: Die Effizienz des Gesamtsystems wird durch das schwächste Glied bestimmt. Laut Experten kann ein korrekt angewendetes Schichtprinzip die Temperaturregulierung um bis zu 40% verbessern, was direkt die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden beeinflusst. Das Ziel ist die Schaffung eines trockenen Mikroklimas auf der Haut.
Die drei Kernfunktionen sind klar verteilt:
- Basisschicht (Base Layer): Diese Schicht liegt direkt auf der Haut. Ihre einzige Aufgabe ist das Feuchtigkeitsmanagement. Sie muss Schweiß so schnell wie möglich von der Haut wegtransportieren, um ein Auskühlen durch Verdunstungskälte zu verhindern. Materialien wie Merinowolle oder synthetische Fasern sind hier ideal.
- Isolationsschicht (Mid Layer): Ihre Hauptfunktion ist die Wärmespeicherung. Sie fängt die vom Körper erwärmte Luft in kleinen Polstern ein und isoliert so gegen Kälte von außen. Wichtig ist, dass auch diese Schicht atmungsaktiv ist, um die von der Basisschicht abgegebene Feuchtigkeit weiter nach außen zu leiten.
- Schutzschicht (Shell Layer): Die äußerste Schicht ist der Wetterschutz. Sie schützt vor Wind, Regen oder Schnee. Eine gute Shell-Schicht ist nicht nur wasser- und winddicht, sondern auch hoch atmungsaktiv, damit der Wasserdampf von innen entweichen kann. Ohne diese Atmungsaktivität würde die Feuchtigkeit im System gefangen bleiben und von innen zur Durchnässung führen.
Eine falsche Abfolge, wie zum Beispiel eine nicht atmungsaktive Isolationsschicht über einer funktionellen Basisschicht, zerstört den gesamten Feuchtigkeitstransport. Wie Barbara Pfister, eine erfahrene Produktmanagerin, betont: „Ein einziger Fehler in der Schichtfolge, wie eine nicht atmungsaktive Isolationsschicht, kann das gesamte Feuchtigkeitsmanagement zerstören.“ Die Kunst liegt darin, diese drei Funktionen als ein zusammenhängendes, atmungsaktives System zu betrachten.
Der Baumwoll-Pulli als mittlere Schicht: Die Todsünden des Zwiebelprinzips
Ein perfekt durchdachtes Schichtsystem kann durch einen einzigen, grundlegenden Fehler zunichtegemacht werden. Die häufigste und gravierendste dieser „Todsünden“ ist die Verwendung von Baumwolle. Obwohl sie sich im Alltag angenehm anfühlt, wirkt sie beim Sport wie ein Schwamm. Sie saugt Schweiß auf, anstatt ihn abzuleiten, und verliert dadurch jegliche Isolationswirkung. Das Resultat ist ein klammes, kaltes Gefühl auf der Haut, das bei einer Pause oder einer Abfahrt schnell zu gefährlicher Unterkühlung führen kann. Wie ein Radsportexperte treffend formuliert: „Baumwolle transportiert kaum Feuchtigkeit und führt bei Radfahrern schnell zu einem klammen Gefühl, was das Zwiebelprinzip konterkariert.“
Ein weiterer häufiger Fehler betrifft die Passform der Kleidung. Insbesondere die Isolationsschicht muss genügend Raum haben, um ein Luftpolster zu bilden, das die Wärme speichert. Ein zu eng anliegender Midlayer komprimiert diese isolierende Luftschicht und reduziert ihre Wirkung drastisch. Studien deuten darauf hin, dass ein zu enger Midlayer zu einem Wärmeverlust von bis zu 25% führen kann, da die für die Isolation entscheidenden Luftkammern zerstört werden. Das System funktioniert dann nicht mehr, weil die Wärmebrücken zum kalten Außenmaterial zu groß werden.
Schließlich wird oft am falschen Ende gespart: an der Basisschicht. Eine hochwertige, teure Außenschicht kann ihr Potenzial nicht entfalten, wenn die darunter liegende Schicht den Schweiß auf der Haut hält. Eine billige Basisschicht aus ungeeignetem Material wirkt wie eine Dampfsperre und sabotiert die Atmungsaktivität des gesamten Systems von innen heraus. Es ist entscheidend, die drei häufigsten Fehler zu vermeiden:
- Verzicht auf Baumwolle: Unter keinen Umständen Baumwolle als Isolations- oder Basisschicht verwenden.
- Korrekte Passform: Zu enge Kleidung vermeiden, da sie die isolierenden Luftpolster zerstört.
- Qualität der Basis: Nicht bei der Basisschicht sparen, da sie die Funktion aller darüber liegenden Schichten maßgeblich beeinflusst.
Die intelligente Zwiebel: Wie Sie mit multifunktionalen Teilen Gewicht und Platz sparen
Der Übergang vom klassischen Zwiebelprinzip zum intelligenten, modularen System beginnt mit der Auswahl der richtigen Komponenten. Für einen minimalistischen Bikepacker zählt jedes Gramm und jeder Kubikzentimeter im Gepäck. Statt für jede Eventualität ein eigenes Kleidungsstück mitzunehmen, liegt der Schlüssel in multifunktionalen Teilen, die mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen. Dieser Ansatz reduziert nicht nur das Gewicht, sondern auch die Komplexität der Entscheidungen unterwegs. Berichte zeigen, dass durch den Einsatz solcher Teile das Packvolumen um bis zu 30% reduziert werden kann.

Klassische Beispiele für solche Systemkomponenten sind Arm- und Beinlinge, eine leichte Windweste oder eine Jacke mit abnehmbaren Ärmeln. Diese Elemente erlauben eine schnelle und feingranulare Anpassung an wechselnde Bedingungen, ohne dass man anhalten und das komplette Oberteil wechseln muss. Eine Windweste schützt den empfindlichen Rumpf vor Auskühlung, lässt aber gleichzeitig über die Arme überschüssige Wärme entweichen – ideal für lange Anstiege mit anschließender Abfahrt. Wie Produktentwicklerin Anna Schmidt es auf den Punkt bringt: „Multifunktionale Kleidung ist nicht nur praktisch, sie ersetzt auch oftmals mehrere einzelne Ausrüstungsgegenstände und spart so Gewicht und Platz.“
Fallstudie: Bikepacking mit minimalem Gepäck
Erfahrene Bikepacker setzen konsequent auf das Baukastenprinzip. Statt einer dicken Jacke kombinieren sie lieber eine leichte, klein packbare Regenjacke mit einer ebenfalls leichten Isolationsweste und Armlingen. Diese Kombination ist nicht nur leichter und kleiner im Packmaß als eine einzelne gefütterte Jacke, sondern bietet auch deutlich mehr Flexibilität. Bei einem Anstieg kann die Weste geöffnet oder ausgezogen werden, während die Regenjacke solo als Windschutz in der Abfahrt dient. Die Armlinge können schnell heruntergerollt oder in einer Trikottasche verstaut werden. Jedes Teil ist ein Baustein, der je nach Bedarf mit anderen kombiniert wird, um die perfekte Balance aus Schutz, Isolation und Atmungsaktivität zu schaffen.
Wolle oder Fleece: Welches Material Sie bei Kälte wirklich warm und trocken hält
Bei der Wahl der Isolationsschicht (Mid Layer) stehen Radfahrer oft vor der Entscheidung zwischen zwei exzellenten Materialien: Merinowolle und synthetischem Fleece (meist aus Polyester). Beide haben ihre Berechtigung, doch ihre Stärken spielen sie in unterschiedlichen Szenarien aus. Die Wahl hängt stark von der erwarteten Intensität, der Witterung und der Dauer der Tour ab. Es geht nicht um ein „besser“ oder „schlechter“, sondern um die passende Komponente für das geplante System.
Merinowolle ist eine Naturfaser mit außergewöhnlichen thermoregulierenden Eigenschaften. Ihre größte Stärke ist die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu absorbieren, ohne sich nass anzufühlen, und dabei weiterhin zu wärmen. Eine Analyse von Triple2 zeigt, dass Merinowolle bis zu 30% ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit speichern kann, während Polyester bereits bei 10% an seine Grenzen stößt. Zudem ist Merinowolle von Natur aus geruchshemmend, was sie zur idealen Wahl für mehrtägige Touren macht, bei denen nicht täglich gewaschen werden kann. Ihr Nachteil ist die längere Trocknungszeit im Vergleich zu Synthetikfasern.
Fleece aus Polyester hingegen ist ein Meister der schnellen Trocknung und des geringen Gewichts. Es nimmt kaum Feuchtigkeit auf und leitet sie extrem schnell an die nächste Schicht weiter. Das macht es perfekt für hochintensive Einheiten, bei denen viel geschwitzt wird und ein schnelles Trocknen in Pausen entscheidend ist. Allerdings neigt Polyester dazu, schnell unangenehme Gerüche zu entwickeln und bietet im nassen Zustand eine geringere Isolationsleistung als Wolle. Eine vergleichende Analyse der Ökobilanz zeigt zudem, dass Merinowolle als nachwachsender Rohstoff oft nachhaltiger ist, während Fleece durch seine schnelle Trocknung punktet.
Die modernste Lösung, die von Materialexperten favorisiert wird, ist oft eine hybride Konstruktion. Wie Markus Klein, ein Experte für Fahrradbekleidung, erklärt: „Eine Hybridkleidung mit Wolle in schweißintensiven Zonen und Fleece für reine Isolierung bietet das beste Wärme- und Feuchtigkeitsmanagement.“ Solche Kleidungsstücke kombinieren die Stärken beider Materialien gezielt dort, wo sie am meisten gebraucht werden – ein perfektes Beispiel für systemisches Denken bei der Materialauswahl.
Der schnelle Striptease am Berg: Wie Sie Ihre Kleidung während der Fahrt managen
Das beste modulare Bekleidungssystem ist nutzlos, wenn es nicht aktiv und vorausschauend gemanagt wird. Viele Radfahrer machen den Fehler, erst dann auf Temperaturänderungen zu reagieren, wenn es zu spät ist – wenn sie bereits überhitzt sind oder zu frieren beginnen. Erfolgreiches Klimamanagement ist ein proaktiver Prozess, der während der gesamten Fahrt stattfindet. Es geht darum, kleine Anpassungen vorzunehmen, bevor große Probleme entstehen.
Der Schlüssel dazu liegt in der Nutzung der eingebauten Belüftungsmöglichkeiten. Reißverschlüsse an der Vorderseite, unter den Armen oder an den Hosenbeinen sind keine Designelemente, sondern wichtige Werkzeuge zur Thermoregulation. Barbara Pfister, eine erfahrene Produktmanagerin, bringt es auf den Punkt: „Das Öffnen von Reißverschlüssen an Front, Unterarm und Bein ist der Schlüssel, um die perfekte Temperatur während der Fahrt zu regulieren.“ Schon das Öffnen des Frontreißverschlusses am Beginn eines Anstiegs kann einen Hitzestau verhindern und das Ausziehen einer ganzen Schicht überflüssig machen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Packstrategie. Kleidungsstücke, die man wahrscheinlich während der Fahrt an- oder ausziehen wird (wie eine Windweste, Armlinge oder Handschuhe), müssen leicht zugänglich sein. Sie gehören in die äußeren Trikottaschen oder in eine schnell erreichbare Oberrohrtasche. Eine Regenjacke, die tief unten im Rucksack vergraben ist, wird im entscheidenden Moment nicht genutzt. Eine Analyse von Packstrategien für Radfahrer zeigt klar, dass eine durchdachte Organisation in Trikot- und Rahmentaschen spontane Anpassungen erst ermöglicht.
Das Management während der Fahrt lässt sich auf drei Kernpunkte herunterbrechen:
- Vorausschauend handeln: Die Kleidung bereits vor dem Anstieg anpassen, nicht erst bei Überhitzung.
- Belüftung nutzen: Reißverschlüsse strategisch öffnen und schließen, um das Klima zu steuern, bevor ganze Schichten gewechselt werden müssen.
- Zugänglichkeit sicherstellen: Packen Sie so, dass die wichtigsten Kleidungsstücke mit einem Handgriff erreichbar sind.
die geniale Lösung von Arm- und Beinlingen entdecken
Arm- und Beinlinge sind vielleicht die cleversten Komponenten in einem modularen Bekleidungssystem und verkörpern den Geist des Minimalismus perfekt. Sie sind die ultimativen Werkzeuge für die Feinabstimmung der Körpertemperatur bei minimalem Packmaß. Statt sich zwischen einem kurz- und einem langärmeligen Trikot entscheiden zu müssen, ermöglichen sie eine flexible Anpassung an die wechselnden Bedingungen eines langen Radtages. Wie der Bikepacking-Experte Jan Müller es beschreibt: „Armlinge und Beinlinge agieren als flexible Thermostate, die eine schnelle Temperaturanpassung erlauben, ohne den Rumpf zu überhitzen.“
Ihre Genialität liegt in ihrer Einfachheit und Effizienz. Bei kühlem Start am Morgen oder auf langen, schattigen Abfahrten bieten sie genau die richtige Menge an Isolation für die exponierten Gliedmaßen. Sobald die Sonne herauskommt oder ein langer Anstieg beginnt, sind sie in Sekundenschnelle heruntergerollt oder ausgezogen und in einer Trikottasche verstaut. Mit einem Gewicht von nur 50-70 g für Armlinge und 100-130 g für Beinlinge sind sie eine federleichte Ergänzung, die eine komplette lange Hose oder ein Langarmtrikot ersetzen kann. Dies spart nicht nur erheblich Gewicht, sondern vor allem wertvollen Platz im ohnehin begrenzten Gepäck eines Bikepackers.
Doch ihre Funktion geht über die reine Temperaturregulierung hinaus. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Leistungsfähigkeit und Verletzungsprävention. Studien zum Kälteschutz zeigen, dass das Warmhalten der Knie- und Ellbogengelenke die Durchblutung fördert und die Muskulatur geschmeidig hält. Dies reduziert das Risiko von Zerrungen und anderen Verletzungen, insbesondere auf langen Touren. Kalte Gelenke sind anfälliger für Verschleiß und Schmerzen. Arm- und Beinlinge sind somit nicht nur Komfort-Accessoires, sondern ein integraler Bestandteil einer durchdachten Strategie zur Leistungsoptimierung und Gesundheitsvorsorge.
die Strategie des vorausschauenden Kleidens lernen
Die höchste Stufe der Klimakontrolle auf dem Rad ist erreicht, wenn man nicht mehr nur auf das aktuelle Wetter reagiert, sondern proaktiv handelt. Vorausschauendes Kleiden bedeutet, die geplante Route, das Höhenprofil und die Wettervorhersage zu analysieren und die Kleidungswahl darauf abzustimmen. Es ist eine mentale Strategie, die genauso wichtig ist wie die physische Vorbereitung. „Das Lesen der Route und das Abstimmen der Kleidung auf Anstiege, Abfahrten und Windpassagen spart mentale Energie und verbessert die Performance“, erklärt die Outdoor-Bekleidungsexpertin Lara Neumann.
Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, sich nicht nur auf die reine Lufttemperatur zu verlassen. Faktoren wie Windgeschwindigkeit (Windchill-Effekt), Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung haben einen massiven Einfluss auf die gefühlte Temperatur. Eine Temperatur von 10 °C bei Sonnenschein und Windstille fühlt sich völlig anders an als 10 °C bei starkem Wind und bedecktem Himmel. Radfahren.de hebt hervor, dass die gefühlte Temperatur und die Windrichtung die Kleiderwahl stärker beeinflussen als die reine Lufttemperatur. Moderne Wetter-Apps liefern diese detaillierten Informationen und sollten zur Standard-Routenvorbereitung gehören.
Mit diesem Wissen kann man ein modulares System perfekt aussteuern. Steht ein langer, schattiger Anstieg bevor, gefolgt von einer windexponierten Abfahrt? Dann startet man den Anstieg vielleicht bewusst etwas kühler, um Überhitzung zu vermeiden, und zieht die Windweste oder die Armlinge erst kurz vor dem Gipfel an. So bleibt man trocken und ist für die kalte Abfahrt optimal geschützt. Man agiert, statt zu reagieren.
Ihr Aktionsplan: 3 Schritte zum vorausschauenden Kleiden
- Routenanalyse: Studieren Sie vor der Fahrt das Höhenprofil und die Himmelsrichtungen. Identifizieren Sie schattige Waldstücke, windexponierte Hochebenen und lange Anstiege, um potenzielle Temperaturzonen zu erkennen.
- Wetterdaten nutzen: Konsultieren Sie Wetter-Apps nicht nur für die Temperatur, sondern gezielt für die gefühlte Temperatur, Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit.
- Flexibel planen und frühzeitig handeln: Wählen Sie Ihre Schichten so, dass sie sich leicht an die identifizierten Zonen anpassen lassen. Ziehen Sie Kleidung frühzeitig an oder aus – idealerweise bevor Sie frieren oder stark schwitzen.
Das Wichtigste in Kürze
- Denken Sie in Systemen, nicht in Schichten: Betrachten Sie Ihre Radbekleidung als einen modularen Baukasten, bei dem jedes Teil mit jedem anderen kompatibel sein muss, anstatt stur drei Lagen zu tragen.
- Multifunktionalität ist der Schlüssel: Teile wie Armlinge, Beinlinge oder Windwesten bieten maximale Flexibilität bei minimalem Gewicht und Packmaß und sind das Herzstück eines intelligenten Systems.
- Agieren statt reagieren: Managen Sie Ihr Klima proaktiv. Nutzen Sie Belüftungsöffnungen und passen Sie Ihre Kleidung an, bevor Sie überhitzen oder auskühlen, basierend auf der Route und detaillierten Wetterdaten.
funktionale Radbekleidung gezielt einsetzen
Ein modulares Bekleidungssystem ist nur so gut wie seine einzelnen Komponenten. Die gezielte Auswahl funktionaler Radbekleidung, die auf den eigenen Fahrstil und die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist, bildet die Grundlage für jede erfolgreiche Strategie. Die Anforderungen an die Kleidung unterscheiden sich erheblich, je nachdem, ob man auf dem Rennrad, dem Gravel-Bike oder auf einer mehrtägigen Trekkingtour unterwegs ist.
Die Anforderungsprofile lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
- Rennradfahrer: Hier stehen Aerodynamik und maximaler Schweißtransport im Vordergrund. Die Kleidung ist eng anliegend, um den Luftwiderstand zu minimieren. Materialien sind extrem leicht und auf höchste Atmungsaktivität ausgelegt.
- Gravel-Biker: Der Fokus verschiebt sich in Richtung Robustheit und Komfort. Die Kleidung ist oft etwas lockerer geschnitten und aus widerstandsfähigeren Materialien gefertigt, um auch den Kontakt mit Ästen oder rauem Untergrund zu überstehen. Taschenlösungen sind wichtiger als bei reinen Rennrad-Trikots.
- Tourenradler/Bikepacker: Hier sind Vielseitigkeit und praktische Details entscheidend. Viele Taschen, eine bequeme Passform für lange Tage im Sattel und Materialien, die auch abseits des Rades eine gute Figur machen, sind hier gefragt.
Unabhängig vom Fahrstil ist die Systemkompatibilität das oberste Gebot bei jeder Neuanschaffung. Wie der Bekleidungsdesigner Peter Schulz rät: „Jedes neue Kleidungsstück muss kompatibel mit vorhandenen Teilen sein, um maximale Kombinationsmöglichkeiten zu gewährleisten.“ Das bedeutet zum Beispiel, dass die Reißverschlüsse von Jacke und Weste idealerweise zusammenpassen oder die Länge eines Trikots auf die Trägerhose abgestimmt ist. Hochwertige Radbekleidung erkennt man oft an durchdachten Details. Eine Umfrage von Hervis unter Radfahrern ergab, dass 85% der Befragten getapte Nähte und Silikongripper als entscheidend für den Alltagsnutzen und die Zufriedenheit bewerten. Diese Details sorgen dafür, dass nichts verrutscht, scheuert oder bei Nässe durchweicht.
Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Ausrüstung nicht als einzelne Kleidungsstücke, sondern als ein zusammenhängendes System zu betrachten. Analysieren Sie jedes Teil auf seine Kompatibilität und Multifunktionalität und bauen Sie sich so schrittweise den perfekten Baukasten für Ihre Abenteuer auf dem Rad.