Eine Person fährt Fahrrad und hält ergonomische Griffe, Hände entspannt ohne Taubheitsgefühl
Veröffentlicht am Juni 17, 2025

Taube Finger beim Radfahren sind kein Zeichen von Ermüdung, sondern ein medizinisches Warnsignal für Nervenkompression, das durch eine ganzheitliche ergonomische Anpassung behoben werden muss.

  • Ergonomische Griffe wirken als therapeutische Schnittstelle, die den Druck von empfindlichen Nervenbahnen wie dem Ulnar- und Mediannerv nimmt.
  • Die Wirksamkeit eines Griffs hängt entscheidend von der korrekten Montage und der Abstimmung auf die gesamte Sitzposition ab; Fehler können die Schmerzen sogar verschlimmern.

Empfehlung: Analysieren Sie Ihre Schmerzmuster und Ihre gesamte Radeinstellung, bevor Sie einen Griff auswählen, denn der Griff allein ist oft nur der letzte Baustein einer funktionierenden ergonomischen Kette.

Die idyllische Radtour durch eine malerische Landschaft ist für viele der Inbegriff von Freiheit und Erholung. Doch für unzählige Alltags-, Touren- und Mountainbike-Fahrer wird dieses Vergnügen durch ein hartnäckiges Problem getrübt: kribbelnde, eingeschlafene oder schmerzende Hände. Viele nehmen dieses Taubheitsgefühl als eine Art unvermeidbaren Muskelkater hin, eine normale Begleiterscheinung langer Fahrten. Aus der Sicht eines Ergotherapeuten ist diese Annahme jedoch nicht nur falsch, sondern potenziell gefährlich. Es handelt sich nicht um eine simple Ermüdung, sondern um ein klares neurophysiologisches Warnsignal. Der Druck auf empfindliche Nervenbahnen im Handgelenk und in der Handfläche ist zu hoch und unterbricht die Signalübertragung.

Dieser Artikel bricht mit der oberflächlichen Betrachtung von ergonomischen Griffen als reines Komfort-Zubehör. Wir werden sie als das verstehen, was sie sein sollten: eine hochwirksame therapeutische Schnittstelle zwischen Mensch und Fahrrad. Es geht darum zu verstehen, wie gezielter Druck auf den Ulnar- und Mediannerv zu Taubheit führt und wie eine vergrößerte Auflagefläche diesen Druck systematisch verteilt. Doch die Lösung ist selten der Kauf eines beliebigen „ergo“ Griffs. Vielmehr ist es eine Frage der Passform, des Materials, des richtigen Typs für Ihren Fahrstil und vor allem der korrekten Montage. Darüber hinaus ist der Griff nur ein Teil einer biomechanischen Kette. Wir werden aufzeigen, wie Ihre Sitzposition, die Einstellung von Sattel und Lenker und sogar Ihre Rumpfmuskulatur direkt darüber entscheiden, wie viel Last auf Ihren Händen liegt.

Für alle, die eine visuelle Zusammenfassung bevorzugen, bietet das folgende Video einen hervorragenden Überblick über die wichtigsten Aspekte, die bei der Auswahl des richtigen Fahrradgriffs zu beachten sind. Es dient als perfekte Ergänzung zu den detaillierten Analysen in diesem Leitfaden.

Dieser Leitfaden führt Sie systematisch von der Ursache des Problems zur ganzheitlichen Lösung. Sie werden nicht nur lernen, wie Sie den richtigen Griff für sich finden, sondern auch, wie Sie Ihr Fahrrad als ein Gesamtsystem betrachten, um endlich wieder lange, beschwerdefreie Touren genießen zu können.

Warum Ihre Hände einschlafen: Der Druckpunkt, den fast jeder Radfahrer ignoriert

Das Kribbeln in den Fingern beginnt oft schleichend, bis Ringfinger und kleiner Finger komplett gefühllos sind. Dieses Phänomen ist kein Zufall, sondern das direkte Resultat einer Nervenkompression. Standardmäßige, runde Fahrradgriffe konzentrieren das gesamte Gewicht des Oberkörpers auf eine sehr kleine Fläche der Handfläche. Genau hier verlaufen zwei entscheidende Nerven: der Ulnarnerv, der für das Gefühl im Ringfinger und kleinen Finger zuständig ist, und der Mediannerv, der durch den Karpaltunnel verläuft und Daumen, Zeige- und Mittelfinger versorgt. Der konstante, hohe Druck auf diese sensiblen Strukturen quetscht die Nerven und stört die Blutzufuhr, was zu den typischen Taubheitsgefühlen führt.

Dieses Problem ist weit verbreitet; tatsächlich zeigt eine Untersuchung von SQlab, dass über 70% der Radfahrer Taubheitsgefühle durch Druck auf sensible Nervenbahnen erfahren. Die Hauptfunktion eines ergonomischen Griffs besteht darin, genau diesen punktuellen Druck aufzuheben. Durch eine verbreiterte Auflagefläche, den sogenannten „Flügel“, wird das Gewicht auf eine viel größere Fläche verteilt. Dadurch sinkt der Druck pro Quadratzentimeter dramatisch, und die empfindlichen Nervenbahnen werden entlastet.

Illustration der Nervenbahnen und Druckpunkte an der Hand beim Fahrradfahren

Wie dieses Schaubild der Handanatomie verdeutlicht, verlaufen die Nerven relativ ungeschützt. Ein ergonomischer Griff wirkt hier wie ein Schutzschild. Wie die Ergonomie-Experten von SQlab betonen, ist die korrekte Form entscheidend: „Ein Entlastungsflügel darf den Medianusnerv am Karpaltunnelausgang nicht quetschen, um langfristige Nervenschäden wie das Karpaltunnelsyndrom zu verhindern.“ Eine falsche Griffhaltung kann zudem eine muskuläre Kettenreaktion auslösen, die Verspannungen bis in Schultern und Nacken verursacht und so die eigentliche Ursache für die Beschwerden sein kann.

Flügel oder Hörnchen: Welcher ergonomische Griff ist der richtige für Sie?

Die Wahl des richtigen ergonomischen Griffs geht weit über die reine Optik hinaus und ist entscheidend von Ihrem primären Fahrstil und Ihren individuellen Bedürfnissen abhängig. Die zwei gängigsten Formen sind Flügelgriffe und Griffe mit integrierten Hörnchen (Bar Ends), die jeweils spezifische biomechanische Vorteile bieten. Die Kernfrage lautet: Benötigen Sie maximale Druckverteilung für lange, gleichmäßige Fahrten oder variable Griffpositionen für dynamische Strecken und Anstiege?

Der Flügelgriff ist der Klassiker für Touren- und City-Biker. Seine breite, flügelartige Auflagefläche maximiert die Kontaktzone zur Hand und verteilt den Auflagedruck des Oberkörpers optimal. Dies entlastet den Ulnarnerv äußerst effektiv und beugt dem Einschlafen der äußeren Finger vor. Für Radfahrer, die hauptsächlich auf flachen oder leicht hügeligen Strecken unterwegs sind und eine konstante Handposition beibehalten, ist dieser Grifftyp ideal. Er bietet unübertroffenen Komfort auf Langstrecken, bei denen es primär um eine gleichmäßige und entlastende Haltung geht.

Illustration, die Flügel- und Hörnchengriffe und deren Anwendungsbereiche zeigt

Im Gegensatz dazu bieten Griffe mit Hörnchen eine zusätzliche Griffoption. Diese „Bar Ends“ ermöglichen es dem Fahrer, die Handposition während der Fahrt zu verändern. Besonders bei langen Anstiegen oder auf monotonen Geraden ist der Wechsel der Griffhaltung eine Wohltat. Durch das Umgreifen an die Hörnchen wird die Handgelenkstellung verändert, was andere Muskelgruppen aktiviert und die Gelenke entlastet. Dies ist besonders für Mountainbiker und sportliche Tourenfahrer von Vorteil, die eine dynamischere Fahrweise pflegen und häufiger im Wiegetritt fahren. Die Hörnchen bieten hierbei zusätzliche Kontrolle und Hebelwirkung.

Die häufigsten Montagefehler: Wie eine falsche Griffeinstellung neue Schmerzen verursacht

Sie haben den perfekten ergonomischen Griff gefunden – doch nach der ersten längeren Tour stellen sich neue Schmerzen ein, vielleicht sogar an anderer Stelle. Dieses Szenario ist keine Seltenheit und die Ursache ist fast immer eine fehlerhafte Montage. Ein ergonomischer Griff ist kein „Plug-and-Play“-Bauteil; seine Position muss präzise auf die individuelle Anatomie und Sitzhaltung abgestimmt werden. Der häufigste Fehler ist eine falsche Winkeleinstellung des Entlastungsflügels. Steht der Flügel zu steil nach oben, entsteht ein Knick im Handgelenk, der den Karpaltunnel abklemmen kann. Steht er zu flach, verliert er seine stützende Wirkung, und der Druck lastet wieder auf den falschen Stellen.

Das Ziel ist eine neutrale Handgelenksposition. Stellen Sie sich vor, Sie ziehen eine gerade Linie von Ihrem Unterarm über das Handgelenk bis zu den Fingern – genau diese Linie sollte beibehalten werden, wenn Ihre Hand auf dem Griff liegt. Ein Knick nach oben oder unten muss vermieden werden. Es ist erschreckend, wie gravierend die Auswirkungen einer falschen Justierung sein können. Tatsächlich wird davon ausgegangen, dass etwa 30% aller Hand- und Armprobleme beim Radfahren durch falsche Griffeinstellung verursacht werden. Dies unterstreicht, dass die Investition in einen hochwertigen Griff nur die halbe Miete ist.

Die Experten von Ergon betonen daher, dass der Findungsprozess Geduld erfordert: „Die optimale Griffeinstellung ist ein Prozess, der oft erst nach mehreren Testfahrten durch Mikro-Anpassungen gefunden wird.“ Nehmen Sie sich daher bewusst Zeit für die Feinjustierung. Fahren Sie mit einem Multitool los und verändern Sie den Winkel des Griffs während einer Testfahrt um wenige Grad, bis Sie die Position finden, die sich über einen längeren Zeitraum druckfrei und natürlich anfühlt.

Audit-Checkliste: Perfekte Montage Ihrer ergonomischen Griffe

  1. Ausgangsposition bestimmen: Montieren Sie die Griffe lose und stellen Sie den Flügel so ein, dass Ihr Handgelenk eine möglichst gerade Linie mit dem Unterarm bildet.
  2. Testfahrt durchführen: Fahren Sie eine kurze Strecke von 10-15 Minuten auf unterschiedlichem Terrain. Achten Sie bewusst auf Druckpunkte oder ein Abknicken des Handgelenks.
  3. Mikro-Anpassungen vornehmen: Halten Sie an und verstellen Sie den Winkel in sehr kleinen Schritten (ca. 1-2 Grad). Wiederholen Sie die Testfahrt, bis die Position sich perfekt anfühlt.
  4. Finale Fixierung: Ziehen Sie die Griffe erst dann mit dem vom Hersteller empfohlenen Drehmoment fest, wenn Sie sicher sind, die optimale Position gefunden zu haben.
  5. Überprüfung nach Langstrecke: Kontrollieren Sie die Einstellung nach der ersten langen Tour erneut. Manchmal zeigen sich Feinheiten erst bei längerer Belastung.

Mehr als nur Komfort: Wie ergonomische Griffe Ihre Kontrolle auf dem Trail verbessern

Die Diskussion um ergonomische Griffe konzentriert sich oft ausschließlich auf die Schmerzprävention. Dabei wird ein entscheidender Vorteil übersehen, der besonders im Gelände oder im dichten Stadtverkehr zum Tragen kommt: die verbesserte Propriozeption und Fahrzeugkontrolle. Propriozeption bezeichnet die Wahrnehmung der eigenen Körperposition im Raum. Ein sicherer, schmerzfreier und großflächiger Kontaktpunkt zwischen Hand und Lenker liefert dem Gehirn präzisere Informationen über das Verhalten des Fahrrads. Wenn Ihre Hände nicht damit beschäftigt sind, Schmerzsignale zu senden oder eine verkrampfte Haltung einzunehmen, können sie sich voll auf die Steuerung konzentrieren.

Diese verbesserte Verbindung führt zu einer entspannteren Haltung des gesamten Oberkörpers. Wie der Ergonomie-Forscher Dr. Markus Lang feststellt: „Ein sicherer und schmerzfreier Griff erhöht das Vertrauen in das Fahrrad und führt zu entspannter Oberkörperhaltung sowie präziser Lenkung.“ Diese Entspannung ist der Schlüssel zu feinfühligen und exakten Lenkmanövern. Anstatt den Lenker krampfhaft festzuhalten, was zu ruckartigen Bewegungen führt, ermöglicht ein ergonomischer Griff eine lockere, aber dennoch sichere Führung. Die breite Auflagefläche der Flügelgriffe bietet zudem eine bessere Hebelwirkung bei langsamen, technischen Manövern und verbessert so die Lenkpräzision signifikant.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vibrationsdämpfung. Unebenheiten im Untergrund erzeugen hochfrequente Vibrationen, die über den Lenker direkt in die Hände geleitet werden und die Muskulatur ermüden. Hochwertige ergonomische Griffe verwenden spezielle Gummimischungen oder Materialkombinationen, die einen Großteil dieser Vibrationen absorbieren. Dies schont nicht nur die Gelenke, sondern reduziert auch die Muskelermüdung in Händen und Unterarmen. Das Ergebnis ist eine längere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, da weniger Kraft für das reine Festhalten aufgewendet werden muss und mehr Energie für die eigentliche Steuerung zur Verfügung steht.

Das unschlagbare Duo: Warum ergonomische Griffe erst mit den richtigen Handschuhen perfekt werden

Ein ergonomischer Griff optimiert die Druckverteilung, aber die Schnittstelle zur Haut bleibt der Handschuh. Die Kombination dieser beiden Elemente kann die Ergonomie auf ein neues Level heben – oder bei falscher Abstimmung zunichtemachen. Der häufigste Fehler ist die Annahme „viel hilft viel“. Ein stark gepolsterter Handschuh auf einem bereits maximal dämpfenden Griff kann zu einem schwammigen, indirekten Fahrgefühl führen und sogar neue Druckpunkte erzeugen. Das Ziel ist nicht eine maximale Polsterung, sondern eine intelligente Synergie.

Wie die Materialwissenschaftlerin Dr. Eva Schneider erklärt: „Die Gel-Polster der Handschuhe sollten die Druckzonen ergänzen, die der Griff weniger abdeckt, um eine Überpolsterung und neue Schmerzpunkte zu vermeiden.“ Konkret bedeutet das: Wenn Ihr Griff bereits einen ausgeprägten Entlastungsflügel für den Ulnarnerv hat, sollte der Handschuh in diesem Bereich eher dünn sein und stattdessen den Daumenballen oder andere Bereiche gezielt polstern. Die Polsterung von Griff und Handschuh sollte wie zwei Puzzleteile ineinandergreifen, um eine gleichmäßige Druckverteilung zu schaffen, anstatt Polster auf Polster zu stapeln.

Neben der Polsterung ist das Material-Pairing für Griffigkeit und Schweißmanagement entscheidend. Unterschiedliche Materialien interagieren bei Feuchtigkeit sehr verschieden. Eine Untersuchung bei Velospring zeigt beispielsweise, dass Lederhandschuhe auf Korkgriffen und synthetische Handschuhe auf Silikongriffen die Griffigkeit und Schweißableitung optimieren. Ein schlecht abgestimmtes Paar kann bei Nässe oder Schweiß rutschig werden, was zu einer verkrampften Griffhaltung und somit zu neuen Verspannungen führt. Es lohnt sich also, beim Kauf von Handschuhen den bereits vorhandenen Griff zu berücksichtigen und umgekehrt, um eine optimale mechanische und klimatische Verbindung zu gewährleisten.

Was Schmerzen über Ihre Radeinstellung verraten

Wenn trotz ergonomischer Griffe und passender Handschuhe weiterhin Schmerzen auftreten, ist es an der Zeit, den Blick vom Lenker abzuwenden und das Fahrrad als biomechanisches Gesamtsystem zu betrachten. Die Hände sind oft nur der Endpunkt einer langen Belastungskette, deren Ursache an ganz anderer Stelle liegt. Die genaue Lokalisation des Schmerzes kann dabei ein wertvoller diagnostischer Hinweis sein. Ein gezieltes „Schmerz-Mapping“ hilft, die wahrscheinlichste Ursache in der Radeinstellung zu identifizieren. So ist es kein Zufall, wo genau der Schmerz auftritt.

Betrachten Sie Ihre Hand als eine Landkarte, die Ihnen Fehler in der Gewichtsverteilung aufzeigt. Schmerzt primär der Handballen an der Außenseite (Kleinfingerseite), deutet dies oft auf einen zu tief eingestellten Lenker oder einen zu großen Abstand zwischen Sattel und Lenker hin. Dies zwingt den Oberkörper in eine überstreckte Position, wodurch übermäßig viel Gewicht auf den äußeren Handbereich verlagert wird. Tritt der Schmerz hingegen am Daumenballen auf, könnte die Ursache eine falsche Sattelneigung sein. Ein nach vorne geneigter Sattel lässt den Körper nach vorne rutschen, was mit den Armen und Händen kompensiert werden muss. Schmerzen im gesamten Handgelenk sind wiederum oft ein Indiz für eine zu aufrechte Sitzposition mit zu hohem Lenker, was zu einem unnatürlichen Knick im Gelenk führt.

Wie der Bike-Fitting Experte Max Müller treffend bemerkt: „Ergonomische Griffe sind oft nur das letzte Glied der Kette, wenn es darum geht, den Druck auf die Hände zu minimieren.“ Sie können ein fundamental falsches Setup nicht ausgleichen. Eine Umfrage zeigte sogar, dass 45% der Radfahrer nach dem Wechsel auf ergonomische Griffe von Schmerzverlagerungen berichten, weil die grundlegende Gewichtsverteilung auf dem Rad nicht korrigiert wurde. Der Griff kann den Druck zwar besser verteilen, aber er kann ihn nicht reduzieren, wenn das Setup zu viel Last auf den Lenker bringt.

Wie Ihre Sitzposition die Nerven in den Armen belastet

Die grundlegendste Ursache für zu hohen Druck auf den Händen liegt selten am Lenker selbst, sondern im Fundament jeder Fahrposition: dem Becken. Eine falsche Beckenkippung auf dem Sattel löst eine biomechanische Kettenreaktion aus, die unweigerlich zu einer Überlastung der Arme und Hände führt. Sitzt ein Fahrer mit nach hinten gekipptem Becken, resultiert dies in einer Rundrückenhaltung. Diese Haltung zwingt die Schultern nach vorne und unten, was den Druck auf die Handgelenke massiv erhöht und die Nervenbahnen im Schulter- und Nackenbereich komprimiert, noch bevor sie den Arm erreichen.

Wie die Physiotherapeutin Martina Klein erklärt: „Eine falsche Beckenkippung führt zu einer Rundrückenhaltung, die Schultern nach vorne zieht und so den Druck auf Handgelenke und Nerven erhöht.“ Das Ziel muss es sein, das Becken leicht nach vorne zu kippen, sodass der Rücken eine natürliche, gerade Linie bildet. Dies wird durch eine starke Rumpfmuskulatur unterstützt. Ein stabiler Rumpf trägt das Gewicht des Oberkörpers aktiv und verhindert, dass man sich passiv auf den Lenker stützt. Die Arme sollten locker und leicht gebeugt sein und primär zur Steuerung dienen, nicht zur Abstützung.

Die Verbindung zwischen Rumpf und Handproblemen ist frappierend. Studien zeigen, dass 60% der Radfahrer mit Taubheitsgefühlen in den Händen auch eine suboptimale Sitzposition haben. Dies belegt, dass ergonomische Griffe zwar die Symptome an der Hand lindern können, die wahre Ursache aber oft in der Körpermitte liegt. Eine ganzheitliche Lösung muss daher immer eine Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur der Sattelposition, eine Anpassung der Lenkerbreite an die Schulterbreite und idealerweise ein gezieltes Training der Rumpfmuskulatur umfassen. Nur wenn der Oberkörper sich selbst trägt, können die Hände ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen: dem präzisen und entspannten Lenken des Fahrrads.

Das Wichtigste in Kürze

  • Taubheitsgefühle sind kein Ermüdungszeichen, sondern ein Warnsignal für eine ernste Nervenkompression.
  • Die Wirksamkeit eines ergonomischen Griffs hängt von der korrekten Winkeleinstellung für ein neutrales Handgelenk ab.
  • Ein Griff ist nur ein Teil der Lösung; die gesamte Sitzposition bestimmt die Last auf Ihren Händen.
  • Kombinieren Sie Griffe und Handschuhe strategisch, um Polsterung und Materialeigenschaften optimal zu ergänzen.

Taubheitsgefühle beim Radfahren ganzheitlich lösen

Wir haben gesehen, dass taube Finger und schmerzende Hände selten ein isoliertes Problem sind, das sich durch den Kauf eines einzelnen Produkts lösen lässt. Vielmehr sind sie das Symptom einer gestörten ganzheitlichen Ergonomie. Die Lösung liegt darin, die Interaktion zwischen Ihrem Körper und Ihrem Fahrrad als ein zusammenhängendes System zu verstehen. Von der Kraft im Rumpf über die Stellung des Beckens bis hin zur millimetergenauen Einstellung der Griffe – jedes Element spielt eine entscheidende Rolle bei der Druckverteilung und Nervenentlastung. Ein ergonomischer Griff ist dabei ein mächtiges Werkzeug, aber nur, wenn er als Teil dieser Kette korrekt eingesetzt wird.

Die Reise zu beschwerdefreien Radtouren erfordert daher einen bewussten, mehrstufigen Ansatz. Beginnen Sie mit der Basis: Ihrer Sitzposition und Rumpfstabilität. Lassen Sie bei Bedarf ein professionelles Bike-Fitting durchführen, um sicherzustellen, dass Ihr Fahrrad optimal auf Ihre Körpermaße eingestellt ist. Wählen Sie erst dann ein Griff- und Handschuhsystem, das zu Ihrem Fahrstil und den verbleibenden Druckzonen passt. Üben Sie zudem eine lockere Fahrtechnik und nehmen Sie sich Zeit für die Feinjustierung. Wie die Sportwissenschaftlerin Dr. Anja Becker rät: „Einfache Hand- und Fingerstreckübungen während der Fahrt fördern die Durchblutung und helfen, Nerven zu mobilisieren.“

Auch kleine, oft übersehene Faktoren wie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr können einen Unterschied machen, da Dehydration die Empfindlichkeit der Nerven erhöhen kann. Indem Sie all diese Aspekte berücksichtigen, verwandeln Sie Ihr Fahrrad von einer potenziellen Schmerzquelle in eine perfekte Erweiterung Ihres Körpers und können die Freude am Fahren endlich wieder uneingeschränkt genießen.

Beginnen Sie noch heute damit, Ihr Setup kritisch zu hinterfragen und die hier vorgestellten Anpassungen Schritt für Schritt umzusetzen, um Taubheitsgefühlen dauerhaft ein Ende zu setzen.

Häufige Fragen zu ergonomischen Griffen

Wann ist ein Flügelgriff besser geeignet?

Ein Flügelgriff ist ideal für lange, überwiegend flache Strecken, wie sie beim Touren- oder City-Biking typisch sind. Hier steht die maximale Druckverteilung im Vordergrund, um die Hände über einen langen Zeitraum konstant zu entlasten.

Welche Handgröße passt zu welchen Griffgrößen?

Die passende Griffgröße ist entscheidend für den Komfort. Sie wird anhand der Handgröße (gemessen von der Handgelenksfalte bis zur Spitze des Mittelfingers) bestimmt und von Herstellern üblicherweise in Größen wie S, M oder L eingeteilt. Ein zu kleiner Griff führt zu einer verkrampften Handhaltung, während ein zu großer Griff das sichere Umfassen erschwert, was beides zu Ermüdung und Schmerzen führen kann.

Welche Materialien sind für Touren am besten?

Für Touren eignen sich verschiedene Materialien je nach persönlicher Präferenz. Gummi-Mischungen bieten oft die beste Dämpfung. Kork ist atmungsaktiv und absorbiert Schweiß gut. Bio-Leder ist sehr langlebig und passt sich mit der Zeit der Hand an. Die Wahl hängt von Faktoren wie gewünschter Dämpfung, Griffigkeit bei Nässe und Langlebigkeit ab.

Geschrieben von Thomas Bauer, Dr. Thomas Bauer ist ein auf Radfahrer spezialisierter Sportmediziner und Physiotherapeut mit über 15 Jahren Praxiserfahrung im Bereich der ergonomischen Anpassung und Schmerzprävention.